Bericht aus Israel

14. Oktober 2023

Liebe Freundinnen und Freunde Neve Hannas,

einige Zeilen an einem relativ ruhigen Shabbat-Ausgang – der Raketenbeschuss hält an, ist aber nicht so massiv, wir in den ersten Tagen nach dem blutigen Überfall. Wir alle sind weiterhin in Trauer um die Ermordeten, in Sorge um Geiseln, aber auch in Sorge um Angehörige und Freunde im Dienst.

Israel rückt gerade zusammen. Enorm viele private Initiativen, Juden, Muslime, Christen, Drusen, einerlei … wir alle sitzen in einem Boot und helfen einander. Das gilt auch für Neve Hanna, denn unser Gemeinschaftssinn ist von jeher ein wichtiger Motivationsfaktor im Alltag, in guten wie auch in weniger guten Zeiten, und dann erst recht!

Wir werden sehen, ob in den nächsten Tagen noch mehr Kinder nach Neve Hanna zurückkehren können. Einige Mitarbeiter können ebenfalls bislang wegen des anhaltenden Raketenbeschusses nicht zur Arbeit kommen. In Neve Hanna war ein besonderer Shabbat angesagt mit viel Zusammenrücken und gemeinsamen Aktivitäten; immer in Nähe unserer Schutzräume. Bei der Bewältigung der Aufgaben fehlen unsere Freiwilligen! Dennoch sind wir froh, sie in Sicherheit zu wissen, was inzwischen ebenfalls für drei ehemalige Freiwillige gilt, die entweder auf Besuch oder zum Studium im Land waren.

Ich möchte heute gerne etwas mehr über Shimi erzählen, eines unserer ehemaligen Kinder. Im Verlauf der schrecklichen Ereignisse verlor er, wie die meisten bereits erfahren haben, sein Leben. Shimi war von der zweiten Klasse an in Neve Hanna, zusammen mit seinem Bruder. Shimi kam, wie wir dieser Tage in Erfahrung bringen konnten, nicht wie wir anfänglich hörten durch einen Raketenangriff ums Leben. Er ist eines der Opfer der Rave-Party zwischen dem Kibbuz Re´em und Be´eri. Er gehört er zu den 260 jungen Leuten, die keine Chance hatten, das Massaker zu überleben. Bei seinem Tod war er gerade einmal 29 Jahre alt. Möge sein Andenken selig sein.

Doch auch aus dem Kreis der Mitarbeiter gibt es traurige Nachrichten. Der Neffe unserer Kollegin, die den Pfad des Friedens leitet, gehört zu den Polizisten, die von den Terroristen ermordet wurden. Unser Mitarbeiter, der für die Tageshorte zuständig ist, hat einen engen Angehörigen verloren, der in Ausübung seines Dienstes sein Leben ließ. Viele Mitarbeiter kennen Menschen, die ermordet wurden, die im Kampf fielen. Möge auch das Andenken all dieser Menschen selig sein.

Und dann ist das noch die Geschichte der Tochter einer Mitarbeiterin, die lange Jahre zu unserem Küchenteam gehörte. Ihre Tochter wohnt im Kibbuz Nir Oz, einer der Orte, an denen grausame Massaker stattfanden. Die Tochter unserer ehemaligen Mitarbeiterin konnte sich elf Stunden lang im Schutzraum verschanzen und schließlich gerettet werden. Doch unter den vielen Ermordeten des Kibbuz sind Angehörige der Tochter unserer ehemaligen Mitarbeiterin. Ihr Sohn, der zum Bereitschaftsteam des Kibbuz gehört, wurde angeschossen, aber lebt.

Und auch von unseren beduinischen Freunden möchte ich berichten, vor allem über einen Angehörigen der Familie al-Krenawi, mit der wir seit über 40 Jahren eng kooperieren. Einer der Neffen jenes Mannes, der die Kooperation mit Neve Hanna aufbaute, ist Polizist in Ofakim, wo schwere Kämpfe gegen die Terroristen ausgefochten werden mussten; 50 Einwohner dieser Kleinstadt wurden ermordet. Dieser junge Mann stellte sich als Polizist den Terroristen entgegen und wurde durch einen Kopfschuss verletzt. Die Terroristen glaubten, er sei tot und zogen weiter. Die Kugel verletzte diesen Mann zwar, aber verhältnismäßig leicht, so dass er die nachfolgende Operation gut überstand.

Der grausame Terror hat also die Neve-Hanna-Familie nicht nur durch den Tod unseres ehemaligen Kindes erreicht. Wir sind zutiefst betrübt und wissen, dass auch Ihnen allen diese Zeilen sehr nahe gehen werden.

Antje Naujoks
Kiryat Gat, 14. Oktober 2023

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