Am 7. Oktober 2023 veränderte sich für Israels Bevölkerung die Realität. Seither, seit rund eindreiviertel Jahren, ist Neve Hanna darum bemüht, auf die zusätzlichen therapeutischen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu reagieren. Viele von ihnen erlebten die damaligen Ereignisse in Sderot, Netivot und Ofakim beim Besuch von Eltern oder Verwandten. Vor rund einer Woche nahm das Leben in Israel – und damit auch in Neve Hanna – erneut eine Wende.
Nur wenige Stunden nachdem wir in den frühen Morgenstunden des 13.6.2025 vorgewarnt wurden, uns in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten, kamen tatsächlich die ersten Raketenangriffe aus dem Iran. Die damit einhergehende Geräuschkulisse kann man auch in Neve Hanna nicht ignorieren. Ein Treffer in einem nahegelegenen Dorf veranschaulichte uns, dass wir es mit Raketen einer vollkommen anderen Sprengdimension zu tun haben. Das ist für alle Zivilist*innen, die dem ausgesetzt sind, keine einfache Lage – erst recht nicht, wenn es sich um ohnehin traumatisierte Kinder handelt.
Aufgrund des Krieges ist Neve Hanna als warmherziges zuhause für unsere Kinder dazu verpflichtet, sich um alle ihre Bedürfnisse zu kümmern. Die Kinder gehen nicht zur Schule und können ihre Eltern oder Verwandten am Wochenende nicht besuchen. Neve Hanna muss sich rund um die Uhr um sie kümmern. Es ist von größter Bedeutung, dass die Kinder ständig vertraute Erwachsene an ihrer Seite wissen. Das gibt ihnen in einer beängstigenden Situation, die zudem viel Ungewissheit bringt, wesentlich mehr Rückhalt und Sicherheit. Das jedoch erfordert einen enorm aufgestockten Personalaufwand, den größtenteils das Team von Neve Hanna erbringt. Um unsere Mitarbeitenden, die oftmals selbst Familien mit Kindern haben, in dieser Situation trotzdem etwas zu entlasten, haben wir zusätzliches Hilfspersonal hinzugezogen.
Außerdem müssen wir uns um die Unterstützung des Zoom-Lernens kümmern, mehr Nachhilfekurse organisieren, und überdies körperlich und geistig bereichernde Freizeitaktivitäten anbieten. Sport, verschiedene Spiele und viele kreative Aktivitäten sind wichtig, um die Kinder körperlich auszulasten und zu fordern und sie ebenso seelischen abzulenken. Der Sportlehrer, der sonst zwei, drei Nachmittage die Woche bei uns ist, wurde zeitweilig Vollzeit angestellt. Viele Mitarbeitende bemühen sich um Aufrechterhaltung einer Routine und um zugleich abwechslungsreiche Beschäftigung.
Am wichtigsten bleibt: In Neve Hanna leben Kinder, die in jungen Jahren Traumata erfuhren, und immer noch mit den Folgen des 7. Oktober 2023 ringen. Situationen wie der aktuelle Krieg verursachen zusätzliche schwere Traumata. Zum Wohl unserer Kinder muss Neve Hanna unmittelbare und umfassende Antworten auf die akuten emotionalen Bedürfnisse der Kinder anbieten. Das geschieht gegenwärtig vor allem im Streichelzoo. Zudem haben wir viele andere Therapien, die wir regulär anbieten, aufgestockt. Angesichts des gravierenden Einflusses, den die gegenwärtige Lage nicht nur auf die Kinder hat, sondern auch auf alle Mitarbeitenden, haben wir einen Psychiater zu uns geholt, der uns einen wichtigen Rückhalt gibt. Er soll ebenfalls dazu beitragen, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass sich Langzeittraumata entwickeln.
Dies sind große Herausforderungen. Wir tun unser Bestes für das Wohl unserer Kinder. Dankbar sind wir, dass unser Zusammenhalt viel Kraft und Energie spendet. Ebenso dankbar sind wir für die vielen Nachfragen aus dem Ausland und die vielen guten Wünsche. Es ist nicht selbstverständlich, so treue Freund*innen zu haben.
Danke, Toda – תודה, Shukran – شُكْرًا
von Antje C. Naujoks