Erinnerungen an Jutta Frost 

Münster, im Februar 2024

Einige Tage nach dem 07. Oktober 2023 bekam ich einen Anruf aus Berlin. Jutta Frost, von der ich mehrere Jahre nichts mehr gehört hatte, rief an und fragte mich – so als ob wir erst letzte Woche miteinander gesprochen hätten: „Sag mal, Roni, wie schätzt du denn die Situation in Israel ein, was hast du gehört?“

Es entspann sich ein intensives Gespräch über den schrecklichen Überfall der Hamas und dessen Folgen. Sie war sehr informiert, durchaus kritisch und hatte einige Artikel im Internet recherchiert.   

Sehr beeindruckt beschloss ich, sie in Berlin zu besuchen.

Mitte Dezember kam es dann zu einem Treffen in ihrer kleinen Wohnung.

Ich dachte, ich treffe eine 97-jährige alte, honorige Dame und war darauf eingestellt, mich ganz den Gegebenheiten und ihrer Verfassung anzupassen.

Aber sofort nachdem sie die Tür geöffnet und mich herzlich begrüßt hatte, waren alle Bedenken zerstreut. Auf die Frage, was ich denn trinken möchte, antwortete ich, ich trinke wohl Tee mit dir. Sie antwortete: Ich mache dir auch gerne einen Kaffee, willst du? Ging in die kleine Küche und bediente die Kaffeemaschine. Bald saßen wir vertieft in ein intensives Gespräch bei besagtem Kaffee mit Kuchen. Ich hatte das Gefühl, ich sitze einer guten Freundin gegenüber, offen, klar, interessiert und direkt, Themen ansprechend und diskutierend, sich auf gleicher Ebene austauschend. Themen – angefangen bei Israel und der dramatisch zugespitzten politischen Situation, deutscher Tagespolitik, der LGBTQ-Bewegung, Visionen, aber auch Sterben und Tod – alles persönlich, vertraut und offen.

Warum erzähle ich das? Weil sie genauso für mich war: Direkt bei der Sache, kritisch zuhörend, wach und herzlich. Sie war offen für andere Meinungen, im positiven Sinne neugierig und fragend.

So hat sie auch jahrzehntelang seit der Gründung von Neve Hanna im Vorstand gewirkt. Sie hat vieles angeregt, begleitet, hat sich eingesetzt für neue Ideen, z.B. Neve Hanna als Zuhause für die Kinder weiterzuentwickeln, der Erweiterung und aktiveren Begleitung des Volontärdienstes, den Austausch mit den Beduinen, die Idee der Bäckerei, des Tierparks – ganzheitlich und gesellschaftlich eingebettet.

Sie war nicht immer nur beliebt, denn sie konnte durchaus auch kritisch hinterfragen, Wahrheiten aussprechen, die nicht so gerne gehört wurden.

Sie hat vieles bewegt und erreicht – hat sich dabei aber nie in die erste Reihe gestellt.

Hanni Ullmann und Jutta Frost waren ein gutes Team. Sie haben sich gegenseitig angeregt und vieles gemeinsam geplant und initiiert.  Den Prozess von den drei Betonhausschachteln im Sand, angekauft als Basis für ein Kinderheim mit einer besonderen Ausrichtung und Vision bis hin zu dem Projekt, was Neve Hanna heute ausmacht, das hat sie nicht nur mitverfolgt, sondern auch mitgestaltet.

Sehr intensiv begleitete Jutta zudem die Friedensarbeit von Neve Hanna. Sie nahm nicht nur Anteil, sondern war von den ersten Reisen von jüdisch-beduinischen Jugendgruppen mit dabei. Bis auf den heutigen Tag erinnern die nunmehr erwachsenen Jugendlichen von damals diese beeindruckende Frau.

Ohne sie wäre Neve Hanna nicht das, was es ist!

Dafür sei ihr ganz herzlich gedankt auch im Namen der Heimleitung, Itzik Bohadana, Dudu Weger und Chaim Apel sowie dem ganzen Team von Neve Hanna – einschließlich der beduinisch-muslimischen Partner, insbesondere Muhammed al-Krenawi.

Im Namen des Vereins „Neve Hanna Kinderhilfe e.V.“ möchte ich hiermit meine große Wertschätzung für ihre Lebensleistung, insbesondere für ihr Engagement für das Projekt Neve Hanna bekunden und gleichzeitig unser herzlichstes Mitgefühl ausdrücken für die Familie und ihren Lieben, denn am 20. Februar 2024 ist sie für immer von uns gegangen.

Danke, Jutta!

Reinhard (Roni) Winter
für den Vorstand des Vereins „Neve Hanna Kinderhilfe e.V.“

 

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